Biodiversität stärker verankern
In zahlreichen Stadtplanungsprozessen wird biologische Vielfalt kaum berücksichtigt. Das liegt einerseits an fehlendem Sachverständnis in vielen Ämtern, anderseits an der bestehenden Förderlandschaft. Zu diesen wesentlichen Erkenntnissen kommt eine neue Studie des Bundesamtes für Naturschutz.
Neben dem Klimawandel gehört der Erhalt der Artenvielfalt – und damit unserer Lebensgrundlagen – zu den wichtigsten globalen Herausforderungen. Prominentestes Beispiel: das Bienensterben. Die ausbleibende Bestäubung von Nutzpflanzen hat nicht nur ökologische, sondern auch ökonomische Folgen. Weit verbreitet ist die Auffassung, Artenschutz sei nur etwas für den ländlichen Raum. Dabei bietet die Stadt mitunter eine größere Vielfalt an Lebensräumen und kann einen wertvollen Beitrag zur Biodiversität leisten. Neue Erkenntnisse hierzu liefert eine aktuelle Untersuchung des Bundesamtes für Naturschutz. Deren Ergebnisse sind eindeutig: Biologische Vielfalt muss als Querschnittsthema in der kommunalen Praxis, aber auch in der Städtebauförderung stärker berücksichtigt werden.
Die Präsidentin des Amtes, Prof. Dr. Beate Jessel, betont in ihrem Vorwort, dass die Studie „einen effektiven Beitrag zur Umsetzung der bundespolitischen Agenden zur Artenvielfalt“ liefert. Sie soll zudem möglichst viele Anstöße vermitteln, die Artenvielfalt in Städten und Gemeinden zu fördern (siehe Gastkommentar auf Seite 16). Das 144 Seiten umfassende Skript „Schutz und Weiterentwicklung der Biodiversität im Rahmen der integrierten Stadtentwicklung unter Berücksichtigung der Möglichkeiten der deutschen Städtebauförderung“ wurde von der ProjektStadt gemeinsam mit dem Institut Wohnen und Umwelt (IWU) und dem Leibniz-Institut für ökologische Raumentwicklung (IÖR) erstellt. Die Autoren arbeiten sich zunächst durch die in der jüngsten Vergangenheit formulierten strategischen Leitbilder. Anhand von vier ausgewählten Kommunen analysieren sie Ausgangsbedingungen und Problemlagen, die für die Forschungsfragen von Bedeutung sind. Am Ende konkretisieren sie in einer Liste, wie Artenvielfalt besser in Stadtplanungsvorhaben integriert und gefördert werden kann.
Synergien nicht ausgeschöpft
„Wenngleich es viele Synergien zwischen urbanem Naturschutz, Landschaftspflege und Stadtentwicklung gibt, werden Erhalt und Entwicklung der biologischen Vielfalt bislang nicht flächendeckend in Stadtentwicklungsprozesse integriert“, so ein Ergebnis der Studie. Das liege zum einen daran, dass „Biodiversitätsstrategien auf Bundes-, Landesund kommunaler Ebene noch zu wenig Wirkung entfalten“. Zum anderen fehle bei den Ämtern oft „eine fachgerechte Unterscheidung zwischen Stadtgrün und biologischer Vielfalt“. Häufig lägen auch zu wenige Informationen über diesen Bereich innerhalb der eigenen Kommune vor. Hinzu kommt, dass dieses Handlungsfeld nicht selten hinter anderen städtebaulichen Zielen zurückstehen muss. Die Förderung von Stadtgrün umfasst nicht automatisch auch Biodiversität. Obwohl Defizite an grünen Freiräumen als städtebaulicher Missstand unstrittig anerkannt sind und Förderanträge damit auch begründet werden können, fallen bestimmte Punkte nicht darunter – wie etwa Mängel in Bezug auf Naturerfahrung und die „Ausstattung von Quartieren hinsichtlich Lebensraum und Artenvielfalt“. Umgekehrt sei Umwelt- und Naturschutzämtern oft „nicht bewusst, welche Handlungsspielräume die Städtebauförderung für die biologische Vielfalt“ biete. Speziell kleine und mittelgroße Kommunen seien auf fachliche Unterstützung angewiesen. Peter Foißner, Mit-Autor und Projektleiter der ProjektStadt, resümiert: „Klimaschutz ist in der Städtebauförderung anerkannt, während der Schutz der Stadtnatur noch weit hinterherhinkt. Dabei ist Stadtgrün nicht nur ökologisch und ökonomisch wichtig, es leistet auch einen wesentlichen Beitrag zum Wohlbefinden der Bewohner.“
Klimaschutz ist in der Städtebauförderung anerkannt, während der Schutz der Stadtnatur noch weit hinterherhinkt.
Spielraum vorhanden
Das umfangreiche Fazit der Studie gibt Hinweise, wie die Wahrnehmung des Handlungsfeldes Biodiversität praxisnah innerhalb städtebaulicher Prozesse optimiert werden kann. So schlagen die Autoren vor, dass „Bund, Ländern und Kommunen die Bedeutung von Diversitätsstrategien für die Stadtentwicklung über das Thema Außen- und Innenentwicklung hinaus besser vermittelt“ werden sollte. Das Autoren-Team rät, dieses eigenständige Handlungsfeld in der Stadtentwicklung zu verankern und sie mit den Themen Stadtgrün, Klimaschutz und Klimawandelanpassung gleichzustellen. Die Förderrichtlinien böten hier genügend Potenzial, um entsprechende Projekte unterzubringen. In Form eines Stufenkonzepts wird vorgestellt, wie Kommunen das Thema in der Städtebauförderung sukzessive aufgreifen und umsetzen können. Auf praktischer Ebene wird bemängelt, dass die „Verankerung von kommunalen Biodiversitätsstrategien in der Stadtentwicklung noch Defizite“ aufweise. Abhilfe könnte hier ein regelmäßiger fachlicher Austausch zwischen Umweltschutz- und Stadtplanungsämtern schaffen. Final empfehlen die Spezialisten, lokale Akteure schon bei der Konzeption und der späteren Umsetzung von Maßnahmen zur biologischen Vielfalt in Gebieten der Städtebauförderung einzubinden.
Die vollständige Studie finden Sie hier als PDF zum Download:
Anstöße für kommunale Akteure
Zwischen den Zielen von Naturschutz, Landschaftspflege und Stadtentwicklung bestehen zwar vielfältige Synergien, wie etwa eine ausreichende Versorgung mit Grün- und Freiflächen und deren Vorteile auch für Klimaanpassung, Erholung und Gesundheit. Auch gibt es bereits eine Reihe guter Praxisbeispiele. Dass allerdings nach wie vor dringender Bedarf an einer besseren Durchgrünung unserer Städte besteht, führen uns aktuell die mittlerweile alljährlich wiederkehrenden sommerlichen Hitzebelastungen vor Augen. Gleichwohl finden der Erhalt und die Entwicklung der biologischen Vielfalt noch nicht in allen kommunalen Planungsprozessen die notwendige Berücksichtigung.
Mit den aus dem Weißbuch Stadtgrün und dem 2019 beschlossenen „Masterplan Stadtnatur“ abzuleitenden Maßnahmen wird auch die Stellung von Stadtgrün und Naturschutz im Rahmen der Städtebauförderung durch rechtliche Rahmensetzungen gestärkt werden. Darüber hinaus sind es aber auch die Kommunen selbst, in denen Handlungsbedarfe wie auch umfangreiche Handlungsmöglichkeiten bestehen. Denn hier werden vor Ort passgenaue Konzepte und Projekte entwickelt und umgesetzt.
Die vorliegende Untersuchung zeigt konkrete Anknüpfungspunkte auf, wie es auf kommunaler Ebene gelingen kann, den Schutz und die Entwicklung der Biodiversität im Rahmen der Stadterneuerung zu verbessern.
Im Ergebnis konnten Prozessabläufe identifiziert werden, die zu einer naturschutzorientierten Stadtplanung beitragen. Dies hilft Kommunen, Mittel der Städtebauförderung für den Schutz und die Weiterentwicklung der urbanen biologischen Vielfalt einzusetzen. Mit der Veröffentlichung der Ergebnisse liefern wir als Bundesamt für Naturschutz einen effektiven Beitrag zur Umsetzung der bundespolitischen Agenden und möchten möglichst vielen kommunalen Akteuren Anstöße vermitteln, um Biodiversität in Städten und Gemeinden zu fördern.